Gosset Champagne Travel

So, Feierabend. Der Chef hatte heute Spitzenlaune. Ich auch. Es gibt nicht jeden Tag gute Nachrichten. Aber heute ist einer diesen Tage. Das limbische System braucht Futter. Ja – ein großartiger Moment für Champagner. Und drei, zwei, eins erliegen wir dem Charme der mächtigsten Appellation der Welt. Es muss eben doch Champagner sein. Alle anderen Bubbles stehen so weit hinten an. Champagner ist das Wirbeln der Sinne, die Perlen Cleopatras. „Trinkt bis alle Welten schwanken!“

Aber. Champagner ist eine Lüge. Eine, die lange Beine hat und in denen du dich so unglaublich wohl fühlst. Und diese Lüge ist so mächtig, dass man – vom Charme hypnotisiert – bereit ist, für etwas so viel mehr zu zahlen, als für einen vergleichbaren Wein. Wenn man das überhaupt vergleichen kann. Ein Zauber, bei dem es vielmals nicht um den Trinkgenuss selbst, sondern um die Symbolik dessen, was es eben zu sein scheint, geht. Im Spannungsbogen zwischen Lebenselexier, Luxus und Prestige.

Doch Zauber sei vorbei. Das Zepter eines höfisch, adligen Getränks hat die Marke Champagner längst hinter sich gelassen und ist in allen Milieus angekommen. Champagner ist ein Massenprodukt, obwohl er dir Exklusivität vorgaukelt. Es geht bereits im mittleren Segment eines Champagnerhauses um mehrere Millionen Euro Jahresumsatz, Millionen von Flaschen, die in alle fünf Kontinente verkauft werden.

Doch auch wenn es bei dieser Größenordnung scheinbar keine Unterschiede mehr gibt, ist die David-Goliath-Relation bis heute existent. Größte Unternehmenskonglomerate nehmen weiterhin immer mehr Einfluß in der Champagne. Sie wollen mehr kaufen. Das Land, die Trauben der Winzer.

Und es gibt im Gegensatz zu den Riesen, kleinere Champagnerhäuser und Winzerchampagner. Die „Underdogs“ sozusagen. Schaut man auf die Top 5*, dann ist Gosset mit den Riesen auf Augenhöhe, obwohl es zu den mittleren gehört. Und Gosset ist ein echter Dog, bedeutet Gosset im katalanischen „der kleine Hund“. Prost Wuff, Wuff.

Apropos Hund, des Menschen bester Freund. Für mich ist Gosset seit Jahren ein treuer Begleiter. Einer der immer wieder zu mir zurückfindet. Oder ich zu ihm. Bester Wein geht mir eben unter die Haut. Und er konnte mehr. Kam die beste Unterhaltung zum stocken, war das Zählen der Perlage der Rettungsring und Flirt in einem.

Gosset lebt von seinem wichtigsten Asset, den Menschen. Die Marke bildet genau das ab, was die Champagne ist – Beständigkeit. Das Resultat geschichtlicher Prägung, ein Hilfeschrei gegen Dynamik, für den Stillstand.

Sie mögen Stillstand nicht? Die Menschen aus der Champagne schon. Es ist ein Ort, an dem sich schon so so viele Invasoren vergingen. Es kamen die Galier, Ostgoten und Westgoten und wir Deutsche. Ein Ort, der nicht von Hügeln geschützt ist und dadurch in der Vergangenheit seine Verletzlichkeit provozierte.

Deshalb ist die Bindung zwischen den Menschen in Ihre Geschichte geschrieben. Und der Champagner ist eben ein Teil dieser Geschichte, das Schmieröl der Beziehungen zwischen Menschund Produkt, dass das Geschäft am laufen hält.

Und so bindet Gosset mehr als 200 Winzer, die das Haus mit Trauben beliefern. Keine nullachtfünfzehn Nummer. Sondern aus den feinsten Lagen, z.B. aus Vallée und Grande de la MarneMontagne de Reims oder Côte des Blancsalle Premier Cru und Gran Cru. Jedes Jahr das gleiche Spiel. Seit Generationen. Es ist auch der beständigen Bindung zwischen Gosset und seinen Winzern geschuldet. Und es wird auch zukünftig so bleiben. Weil man sich wohl fühlt und stolz ist. Und es gibt gutes Geld für die Trauben, aber es ist kein schnelles Geld.

Doch wer zuliefern lässt muss selbst auch liefern. Der Auftrag: Bring mir eine beständig, hohe Qualität ins Glas.

Und das ist eben das schönste am Champagner: Das Spielen mit der Assemblage, das die Qualität Jahr für Jahr zu einer sicheren Bank bei Gosset macht. Das Finden der Balance. Das Ausgleichen von schlechten Jahrgängen mit Reservewein. Das Spielen mit den unendlichen Optionen des Traubengutes, die über 200 Cru-Zulieferer ins Haus bringen. Das Reduzieren bis zum Maximum. Das Finden des Qualiätsniveaus. Gosset hat das die letzten Jahre immer geliefert. Aber liefert nicht überall hin…

Kein Duty-free-Shop, keine ich-gebe-dir-20.000-Euro-und-du-listest-meinen Champagner-Fisimatenten. Aber im ausgewählten Einzelhandel bzw. beim Weinfachhändler. Die Besseren – versteht sich. Diese Strategie scheint zum Haus zu passen.

Und, nun? Wo bekomme ich den Champagner am aller sichersten? Dann wohl im Hause selbst – hatte ich mir so scharfsinnig gedacht und fuhr los. Angekommen. Ich sitze Odilon De Varine, dem heutigen Kellermeister in Epernay, gegenüber. Das lachen sitzt nicht leicht im Gesicht. Grund dafür ist der plötzliche Tod des über drei Jahrzehnte prägenden Kellermeisters Jean-Pierre Mareigner. Und wenn jemand etwas in der Champagne nicht leiden kann, dann ist es Unbeständigkeit. Das hatten wir ja schon…

Doch er selbst ist ebenfalls seit Jahren bei Gosset und kennt das Haus bestens. Er wirkt auf mich, als wenn es sein erster Tag wäre, so funkeln seine Augen bis es aus ihm herausbricht: Pinot Noir und no go für malolaktische Gärung.

Das ist wirklich cool. Pinot Noir ist die Diva, die Königin unter allen Trauben. Zickig, aber genial – wenn man sie beherrscht. Diese Rebsorte gibt dem Champagner seine Struktur, die Frische, dieFrucht und Kraft.

No go für malolaktische Gärung? Ach, was die Existenz von Bakterien – besser gesagt, die nicht  vorhandenen Bakterien – alles bewirken können. Mit einer Unterdrückung der malolaktischen Gärung, also einer Senkung des Säuregehaltes des Weines, in dem stärkere Apfelsäure in mildere Milchsäure umgewandelt wird, prägt Gosset den Stil seiner Champagner. Bereicherung ist hier Verzicht. Denn so brauchen die Weine länger, um harmonisch zu werden. Dafür wird aber ein längeres Lagerungspotential gewonnen. Und es sichert dem Champagner Frische und Säure in Zeiten des Klimawandels. Meines Wissens nach verzichten momentan weniger als zehn Prozent aller Champagnerhäuser auf die malolaktische Gärung. Man muss es eben auch können.

Odile de Varine „Bei Gosset machen wir in erster Linie einen Wein, die Perlage hebt ihn dann auf ein höheres Niveau.“Zurück nach Ay. Ich habe nun das Gefühl, als wäre alles gesagt. Stille. Wir schauen uns an. Odilon hat Heimvorteil. Er weiß, welche Weine er jetzt servieren wird. „Voilá” sagt er und rückt die Gläser auseinander. Ich klammere mich nun an die Fakten:  Jahrgangsqualität, Assemblage, Flaschengärung, Dossage, schmeckt oder schmeckt nicht.

Das war letzte Woche. Ach ja. Sie erinnern sich? Mein Chef hatte heute gute Laune. Es gibt was zu feiern. Der Verkäufer hatte mir da noch ein paar andere Champagnermarken verkaufen wollen. Champagner, die Menschen begeistern, weil sie gerne alles aus einem Hause kaufen. So wie Handtaschen mit zwei Buchstaben. Ich brauche heute einen individuelleren Wein, der meinen Geldbeutel– nach dem Kauf- nicht zu schmal aussehen läßt. Ich hab ihn. Glück ist heute Perlage – statt Perlen.

*La Revue du vin de France wurde Champagner Gosset auf Platz vier der Top 50 Liste der renomiertesten Champagnererzeuger gewählt.

Für den Champagnerplausch

– Gosset kann zu recht auf die Geschichte als ältestes Champagnerhaus zurückblicken. Wer dies nicht glaubt, wird auf die Bibliothèque Nationale in Paris verwiesen. Das Dossier Bleu No. 29876 (322) beinhaltet ein handschriftliches Dokument, in dem deutlich verzeichnet ist, dass 1584 Pierre Gosset Winzer und Händler war.

– Zum 100. Geburtstag der Freiheitsstatue produzierte man die bis dato größte ChampagnerflascheSalomon“ der Welt und löste damit die bis zu diesem Moment größte Champagnerflasche „Nebukadnezar“ ab.

– 1983 konnten spektakulär mehrere Dutzend gut erhaltende Flaschen aus einem im Jahre 1841gesunkenen Frachtschiff in der australischen Port Phillip Bay geborgen werden.

– Die heutige Form der Flaschen entsprechen der im Jahre 1760 eingeführten Antikflasche.

Die Weine

Grande Reserve brut 

Dieser Champagner ist das Herzstück des Hauses. Pinot Noir sorgt für die Struktur und das Säuregerüst, läßt aber der Frische und Feinheit des Chardonnays seinen Platz. Der Pinot Meunier, mit seiner zurückhaltenden Säurestruktur, fungiert hier als Bindeglied in der Assemblage. Damit ist er der Allrounder und gibt Flexibilität beim Trinkmoment. Expressiv, aber nimmer ermüdend im Mund.

Celebris Vintage 2002 extra brut (ausgetrunken, jetzt 2004)

Was für ein Jahrgangs-Hammer. Eleganz und Druck, gemacht mit Präzision. Hier zeigt die Assemblage wie weit man gehen kann und wie sich beide Spielpartner (Pinot Noir und Chardonnay) gleichberechtigt präsentieren, ohne den anderen einen Hauch seiner Charakteristik zu nehmen. Hier ist alles so gut auf den Punkt gebracht: Frucht, Mineralik, Säure und Struktur. Es entsteht mehr als die Summe seiner einzelnen Komponenten. Ein grossartiger Champagner. Tendenziell besser zu Speisen. Wer ihn nicht mehr bekommt, wird mit dem Jahrgangschampagner 2004 ebenso sensationell glücklich.

Celebris Rose 2007 extra brut

Schlechte Nachricht, leider gibt es nur ca. 10.000 Flaschen. Die gute Nachricht: Der Champagner ist genial gedacht und umgesetzt. Der Rotweinanteil von unter 10 Prozent ist so gewählt, dass die Tannine dem Champagner Komplexität zusetzten und er an Langlebigkeit gewinnt, ohne jedoch die tragende Rolle von Chardonnay und Pinot Noir zu beeinflussen. Mit komplexem Fruchtaroma, mitten in der Genussachse roter und exotischer Frucht und floralen Elementen.

15 ans de cave a minima brut 

Bei diesem Champagner geht es nicht um Primäraromen. Es geht um die Reife. Es geht um 15 Jahre Lagerung und der Wirkung von Zeit auf den Wein. Durch die lange Lagerung spielt die Säure fein im Hintergrund mit. Tiefe und Süße werden zunehmend dominanter und prägen den Wein in Richtung Konfitüre. Die unterlassene malolaktische Gärung spielt diesem Wein durch die erhaltende Potenz des Weines in die Karten.

Gran Millisme 2006 brut

2006 war von einer optimalen Reife geprägt. Ein großer Jahrgang neben 2015, 2012, 2004 und 2002 in diesem Jahrtausend. Durch den 55 prozentigen Pinot Noir Anteil präsentiert sich der Wein mit einer lebendige Säure und zeigt sich quirlig. Frucht in Richtung Grapefruit und Quitte, am Gaumen vielfältig und mit einem nachhaltigen Abgang.

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